Die ausgelassene Bande und eine Tasche Licht! Muddy's Erinnerungen an Wettringen

Es war einmal in einer Zeit, als von einer Pandemie nicht die Rede und Corona nur ein Bier war. Dunkle Wolken dräuten allerdings schon,

man hörte von Fällen aus dem fernen NRW, die ersten, wenn ich mich richtig erinnere, in Deutschland. Und ausgerechnet dorthin sollten wir

aufbrechen! Zum ersten Mal in unserer zwanzigjährigen Bandgeschichte. Das Heimathouse hatten uns unsere Freunde von Dillberg empfohlen, wegen des netten Teams, des tollen Publikums und der intimen Atmosphäre. Das Video zu "Crash Pilots", unser erstes Video im herkömmlichen Sinn, öffnete uns nach der Empfehlung durch Dillberg-Bassist Rolf die Tür: Niklas Böwer und Erich Terbrack vom Verein Heimathouse Concerts mochten unser von einer Drohne gefilmtes, leicht beatleskes Gestolper durch den Wald und den Song dazu, der mit der doch relativ seltenen Kombi aus Akkordeon und E-Gitarre aus den Boxen scheppert.

 

Relativ spontan fragte das Heimathouse uns also, ob wir Ende Februar spielen möchten. Was für eine Frage! Wir hatten Anfang 2020 ein paar recht schöne Auftritte in konzertantem "Unplugged"-Rahmen, also so richtig unplugged, ohne jedwede Verstärkung, und in kleinerer Besetzung. Von daher juckte es uns schon in den Fingern, wieder als komplette Band ein Haus zu rocken. Und das Heimathouse schien obendrein ein sehr gutes Haus zum Rocken zu sein. Zudem waren wir heiß darauf, unser noch relativ neues Akustik-Setup auszuprobieren, das wir uns für kleinere Locations ausgedacht hatten (dessen Eyecatcher Wolfis so elaboriertes wie optisch ansprechendes Cajon-Drumset und Wutschgos futuristisch anmutender Hybridbass sind, das aber nicht auf Mikes E-Gitarre verzichtet).

 

Erich vom Heimathouse war es wichtig, den Abend ein bisschen unter einem fränkischen Motto laufen zu lassen, darum fragte er mich, welches Bier er aus Franken bestellen solle und ob wir fränkische Ansagen bringen könnten. Der innerdeutsche Cultural Clash als Aufhänger für unseren selbst betitelten Songwriter-Rock aus dem Giftwood Forest? Hell, why not? Als Musiker freut man sich immer über positive Aufmerksamkeit vom Veranstalter. Wir waren guter Dinge.

 

Dann kam der Schnee. Corona auch, wie schon gesagt, aber das nahm im Februar 2020 keiner so richtig ernst. Schnee hingegen stellte ein

physisches, ein sichtbares Hindernis dar. Am Abend des 27. Februars lagen die mittelfränkischen Straßen unter einer dicken Decke

begraben. Wir beschlossen, am nächsten Morgen möglichst zeitig aufzubrechen. Im Radio schnappten wir vereinzelt Nachrichten über ein

ominöses neues Virus auf. Die Bedrohung war spürbar, schien aber noch nicht zwangsläufig. Aber wir waren ein leicht lädiertes Grüppchen. 

Mike und Wolli kränkelten, und ich laborierte an einem Tennisellenbogen, der jeden Griff in die Saiten mit stechendem Schmerz quittierte. 

Wutschgo und Wolfi waren die Fahrer, kamen also nach über 500 Kilometern Fahrt nicht unbedingt perfekt ausgeruht am Ort des Geschehens an. Wutschgo stürzte sich dessen ungeachtet sogleich in sein Metier, den Aufbau der Anlage, bei dem wir ihm wie immer nur bedingt helfen konnten. Als Mike hörte, im Auto sei noch "eine Tasche Licht", meldete er sich sofort freiwillig (wie schwer kann Licht schon sein?). Wir plauderten mit den Leuten vom Heimathouse und fühlten uns gleich heimisch; der Name schien Programm. Das Haus selbst war eine alte Scheune, in der Peripherie zugegebenermaßen etwas gewöhnungsbedürftig mit Puppen und anderem historischem Spielzeug dekoriert. Der Soundchek verlief problemlos; beinahe unbeobachtet gelang es Wutschgo zudem, eine Kamera anzubringen, die unseren Auftritt auf Video festhalten sollte. Dass er wie immer auch eine Tonaufnahme mitlaufen lassen sollte, blendete ich irgendwie aus; erstens tat er das immer, zweitens hatte ich andere Probleme (Stichwort Tennisellenbogen, dabei spiele ich nicht mal Tennis). Zum Abendessen gab es Pizza im Kreise der Wettringer Heimathouse-Mitglieder.

 

Der Konzertbeginn rückte näher, und wie immer in dieser Phase spähten wir unter steigender Vorfreude in den Zuschauerraum. Wie viele Menschen würden kommen? Als klar wurde, dass das Haus voll würde, hielten wir es kaum noch aus. Erich kündigte uns entsprechend seines Konzepts "Besuch aus dem fernen Franken" kompetent an, allerdings mit ein paar verzeihlichen Schwächen in der B-Note, nämlich in der Aussprache mancher fränkischer Wörter. Eine Steilvorlage für Mike, der, als wir unter höflichem Applaus die Bühne betraten, erstmal süffisant korrigierte. Nur um dann, wie wunderschön auf der Aufnahme zu hören, das erste Lied selbst in der falschen Tonart zu beginnen. Der Worst Case: Wir mussten das einmal begonnene Lied wieder abbrechen und neu beginnen. Kann man beim ersten Konzert an einem neuen Ort einen schlechteren ersten Eindruck hinterlassen? Wir waren hin- und hergerissen zwischen Belustigung und Angst, wussten, jetzt galt es, und spielten hochkonzentriert. Es sollte einige Lieder dauern, bis wir diesen Schreck überwunden hatten. Aber das Eis brach.

 

Die Wettringer nahmen unsere improvisierten Ansagen mit Humor, lauschten in den leisen Momenten, spendeten in intensiven Instrumentalpassagen sogar Szenenapplaus. Wir merkten: Hoppla, das gibt's nicht alle Tage! Und so glitten wir elektrisiert und 

beflügelt, konzentriert und zunehmend ausgelassen durch unser Programm, das sich zu einer fließenden Konversation mit dem Publikum entwickelte. Alles andere existierte nicht während der Zeit dieses Auftritts, genau so, wie es bei den besten Konzerten ist, in the zone. Alles war möglich, die Welt stand uns offen, wer weiß, vielleicht hätten wir sogar fliegen können. Oder uns den Hals brechen. Nichts konnte uns aufhalten. Am Ende gab es gar mehrfach Standing Ovations, Erich kam zu uns auf die Bühne und verkündete, Handy im Anschlag, er müsse jetzt mal "die ausgelassene Bande filmen, das ham wer hier ja nicht alle Tage". Und damit meinte er das Publikum, nicht uns!

 

Wie viele Zugaben wir spielten, weiß ich gar nicht mehr (nach Erichs Zählung waren es insgesamt sechs, mindestens müssen es drei gewesen sein), auch die anschließende After Show-Party mit Niklas und den anderen Wettringern ist mir nur in Erinnerung als in wohliger Entspannung aufgelöster Strom aus Gesprächsfetzen und gebranntem Wasser. Gutgelaunt, aber ohne den geplanten Saunagang, fielen wir in 

unsere Betten, denn wir waren für die Nacht dankenswerterweise komfortabel untergebracht in der - die Ironie entging mir nicht - "Remise am Ellenbogen".

 

Am nächsten Morgen, nach einem Frühstück im Hause Terbrack, das nichts zu wünschen übrig ließ, brachen wir wieder auf (Wolli und Wolfi hatten am selben Abend back home einen Anschlussgig mit Bea Weber & Friends). Als wir in den Morgensonnenschein blinzelnd zu den Autos gingen, satt und mit dem unbeschreiblichen Gefühl, irgendwie irgendwas gewonnen zu haben, feixten wir - das weiß ich noch genau -, jetzt müssten wir uns eigentlich auflösen. Oder zumindest nie wieder auftreten. Denn besser, das schien sicher, wird's nicht mehr.

 

Und jetzt, über ein Jahr später, gibt's das live-Album. Die Aufnahmen, die Wutschgo gemacht hatte, fingen tatsächlich die Atmosphäre des ganz besonderen Abends ein, den wir im Heimathouse hatten. Viel ist passiert seither, viel und zugleich so gut wie nichts. Denn fast unmittelbar nach unserem Konzert begann der erste Lockdown, und die Welt war nicht mehr dieselbe. Wir nahmen Split-Screen-Videos auf, wie eigentlich alle Bands und KünstlerInnen damals, und fragten uns: Würden wir je wieder ein solches Konzert wie in Wettringen spielen können? Und vielleicht war diese Frage der Ausgangspunkt für die Idee, aus den Aufnahmen ein live-Album zu machen. Wir haben nicht perfekt gespielt, na und? Grobe Schnitzer sind ja auch keine dabei! Dafür viele albern-absurde Ansagen, denen anzumerken ist, dass sie nicht einstudiert sind, sondern die Stimmung aufgreifen und unsere spontanen Reaktionen und Gedanken einfangen. Zumindest wir finden sie lustig. Für viele KonzertbesucherInnen macht die Abwechslung zwischen diesen Ansagen und unseren ernsten, nachdenklichen, melancholischen Liedern den Reiz unserer Auftritte aus. Und da wir unsere Ansagen nicht skripten und auch unsere Programme ständig im Fluss sind, ist dieses live-Album eine Momentaufnahme, ein Polaroid, das wir so nie wiederholen können.

 

Wir werden, so Corona uns lässt, weitere Konzerte spielen, viele davon hoffentlich auch so besonders wie der 28. Februar 2020 in Wettringen im Heimathouse. Aber diesen speziellen Abend, der auf bizarre Weise unsere folkrockigen Songs kombiniert mit einer Art spontanem Crash-Kurs in Fränkisch; der sich entwickelt hat aus widrigen Umständen (Schnee! Corona! Krankheit!) zu einem glückseligen Strom der begeisterten Kommunikation mit dem Publikum - der ist nicht wiederholbar. Der Geistesgegenwart und Technikbegeisterung von Wutschgo ist es zu verdanken, dass wir hiervon Ton- und Bildmaterial haben!

 

Wir möchten dem Heimathouse Wettringen und unserem tollen Publikum danken, dass sie uns diesen schönen Abend ermöglicht haben. Vielleicht ist es für Euch ganz spannend, das nochmal zu hören... Euch und alle anderen begrüßen wir herzlich zu diesem Trip in die Vergangenheit! Schauen wir doch mal durch dieses kleine Fenster, das hinausgeht zum Vorabend der Pandemie, zum letzten Prä-Corona-Konzert im Heimathouse, zu unserem letzten Auftritt in Vollbesetzung... bislang! Hoffentlich kommen da noch mehr davon! 

Und jetzt, Erich, sag' uns an, die Bude ist voll...

 

Muddy